Die letzten Leinen lösen sich. Ganz sanft schweben
wir empor durch ein Tal, das nicht von dieser Welt zu sein scheint. Mächtige,
grell weiße Felsensäulen ragen schlank empor : zehn, zwanzig
Meter hoch, um dann von skurril geformten braunen Felsenmützen bekrönt
zu werden. In einigen dieser poetisch Feenkamin genannten Steinsäulen lassen
sich dunkle höhlenartige Eingänge erkennen, mitunter hoch über
dem Boden. Menschen haben hier einst gewohnt, und manche leben noch heute
hier. Leise schaukelt der Ballon in einer Luftströmung und weiter
geht die Fahrt durch ein Märchental,
das durch den Kontrast der eigenwilligen Gesteinsformationen und saftig
grüner Gärten zu dem Eindrucksvollsten gehört, was ich als
Geologe je gesehen habe...
Wir sind in Kappadokien, einer Landschaft in Zentralanatolien.
Entstanden durch die Abtragung Millionen Jahre alter Tuffschichten, scheint
diese Landschaft in der Tat zu einem anderen Planeten zu gehören.
So skurill die Felsensäulen, so fremdartig die Landschaft.. Und doch ist der aus Tuffgrus bestehende Boden fruchtbar
und bis an den äußersten Rand der Felswände und steilen
Schluchten wird Ackerbau betrieben. Besonders geschätzt sind die kappadokischen
Weintrauben, aus denen Rosinen getrocknet, aber auch ein vorzüglicher
Wein gekeltert wird.
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Feenkamine mit Weingärten
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Vor Jahrtausenden schon siedelten Menschen hier und machten sich die Besonderheiten
der Natur zu Nutze. Statt Häuser zu bauen, grub man sich in das weiche Tuffgestein hinein,
das an der Luft bald aushärtet und so wohnlichen Lebensraum bietet. Im Winter
warm ,im Sommer kühl weisen diese Felsenwohnungen das ganze Jahr hindurch eine angenehme
Aufenthaltstemperatur auf. Mitunter wurden ganze Siedlungen tief in die
Felsen hinein gebaut, so in den unterirdischen "Städten" von Kaymakli und Derinkuyu.
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Seit dem 4. Jahrhundert entdeckten
Christen diese Region und fingen an, sich hier niederzulassen. Hunderte
von Kirchen wurden in den Felsen erbaut und mit prachtvollen Fresken ausgeschmückt.
Einsiedeleien und größere Klostergemeinden
entstanden. Eine Hochburg christlichen Glaubens entwickelte sich und gedieh
über viele Jahrhunderte hinweg. Manche der hier diskutierten Glaubenssätze
wie die Lehre der Dreifaltigkeit verbreiteten sich von Kappadokien aus
im gesamten Okzident und wurden Bestandteil unseres christlichen Bekenntnisses.
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Enger wird das Tal. Der Ballon
treibt weiter über bizzare Erosionsstrukturen hinweg und meine Gedanken
treiben hinterher. Vor etwa zwei Jahren hörte
ich das erste mal von Kugelpanoramen. Eine fotografische Darstellungsform
sollte das sein die es ermöglicht, einen Raum oder eine Gegend so
darzustellen, als stände man selber an Ort und Stelle und könne
seinen Blick in jede beliebige Richtung wenden. Sofort war ich neugierig,
bald selbst begeistert über diese so plastische Form der Dokumentation.
Wenig später fing ich an selber Kugelpanoramen aufzunehmen. Und nun
waren wir zu zweit hier im Auftrag der türkischen Regierung, um einige
der Weltkulturerbestätten der Türkei mittels Kugelpanoramen zu
dokumentieren.
Kleinasien, wie ein alter Name
für die heutige Türkei lautet, ist uraltes Siedlungsgebiet und
einer der Ursprünge unserer eigenen Kultur. Troja, Ephesus, Pergamon,
Konstantinopel, Edessa, Trapezunt - all dieses und viele mehr sind Orte,
an die sich innigste kulturelle und christliche Werte der westlichen Welt
knüpfen. Alle diese Orte liegen in der heutigen Türkei. Manche
davon sind heute bereits Weltkulturerbestätten mit gleichen Rang wie
der Kölner Dom, das Kloster Maulbronn oder der Hansestadt Lübeck.
Auch andere türkische Stätten wären es sicher wert, in dieser Liste Aufnahme zu finden.
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Angefangen hat unsere Reise durch die Türkei in Safranbolu
- einer kleinen Stadt im Norden der Türkei, die ihre frühere Bedeutung dem Anbau von Safran verdankt.
Heute wird hier kein Safran mehr angebaut. Geblieben sind jedoch viele prächtige
Fachwerkhäuser aus dem 17. und 18.ten Jahrhundert, die den Baustil im ganzen
damaligen osmanischen Reich nachhaltig geprägt haben.
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Safranbolu
: Übersicht
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Kaymakamlar
Haus
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Das museal hergerichtete Kaymakamlar
Haus mit seinem schönen Garten
ist ein typisches Beispiel dafür.
Aber auch die alte Moschee mit dem schattigen Innenhof und der mit Weinranken überdachte
Bazar vermitteln heute noch die Atmosphäre einer alttürkischen Stadt ,
wie sie heute kaum mehr anderswo zu finden ist. Wir übernachteten hier in einem 250 Jahre alten Haus, das liebevoll
zu einem rustikalen Hotel umgestaltet wurde. Abends genossen wir die Atmosphäre in dem Innenhof
des Cincihan ,einer aufwendig restaurierten Karavanserai des 16. Jahrhunderts. Es blieb der angenehme Eindruck einer liebenswürdigen Stadt mit liebenswürdigen Einwohnern.
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Ganz anders Hattusha. Auch dies
eine Stadt, eine gewaltige Burganlage der Hethiter, fast 2000 Jahre vor
Christus entstanden und aufgestiegen zum Mittelpunkt einer Großmacht,
die zu ihrer Glanzzeit Babylon und Ägypten in ihre Schranken wies
und Troja eroberte. Hier wurde zum erstenmal Stahl zu Waffen geschmiedet,
hier wurde aber auch 1274 vor Christus zum ersten mal in der Geschichte
der Menschheit ein Friedensvertrag schriftlich
niedergelegt. Hier wurde der zweirädrige Kampfwagen erfunden, die
Frau dem Mann als gleichberechtigt angesehen und die Todesstrafe verboten.
Es muß ein sehr fortschrittlicher Staat gewesen sein, der seine große
Zeit zwischen 1700 und 1190 vor Christus hatte und dann in erstaunlich
kurzer Zeit und aus immer noch ungeklärten Gründen die Weltbühne
verliess. Fast ohne Spuren zu hinterlassen.
Geblieben ist eine große
Ruinenstätte. Entdeckt wurde sie 1834, seit 1907 wird Hattusha durch
das Deutsche Archäologische Institut ausgegraben. Gefunden wurden
Tausende von Keilschrifttafeln, auf denen detailgenau das Leben in der
hethitischen Hauptstadt beschrieben wird. Ergraben wurde auch ein großer
Tempelkomplex
in der Unterstadt mit großen Magazinräumen
sowie mehrere kleinere Tempelanlagen in der Oberstadt.
Zugänglich und teilweise rekonstruiert sind heute auch die mächtigen
und teilweise fast neuzeitlich wirkenden Verteidigungsanlagen mit mehreren
stark befestigten Stadttoren, von denen das Löwentor,
das bedeutendste ist.
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Etwas abseits der 'Residenz
der Tausend Götter des Hatti - Landes' wie Hattusha im Altertum auch
bezeichnet wurde liegt das Felsenheiligtum Yazilikaya,
in denen mehrere gut erhaltene Reliefdarstellungen die Götter der
Unterwelt sowie den Großkönig
Tudhaliya IV mit seinem Schutzgott Scharumma porträtieren. Das
heute aus mehreren Felsenkammern bestehende Heiligtum war früher Bestandteil
eines weit größeren, überdachten Tempelkomplexes, deren
Grundmauern im Eingangsbereich nachgewiesen wurden.
In den letzten Minuten sind wir
rasch emporgestiegen und schweben nun in gut 300 m Höhe. Weit schweift
der Blick über das Land hin zum durch viele Stollen und Tunnel ausgehöhlten
Burgberg von Ortahisar. Ruhig zieht der Ballon dahin und doch wird mir
in dieser Höhe etwas flau im Magen und ich bin froh, als ich merke,
daß wir wieder langsam sinken. Im dunstigen Sonnenglast liegt Göreme
und nur mit Mühe kann ich das Freilichtmuseum
mit dem alten Klosterbezirk erkennen, wo wir gestern abend photographiert
haben.
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Ein tief berührendes Erlebnis, sich fast allein zu später Stunde in den sakralen
Räumen der
Dunklen Kirche und besonders auch der Tokali
- Kirche mit ihren wundervollen blauen Malereien aufzuhalten.
Stille umgab mich, alles war sanft erleuchtet und ein tiefes Gefühl des Friedens durchdrang mich an diesen Stätten urchristlichen Glaubens.
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Göreme
: Tokali-Kirche
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Heute nun werden wir Zelve
besuchen, ein nahegelegenes Felsendorf,
in dem viele Menschen über
Jahrhunderte hinweg ihren Wohnsitz fanden. Erst 1957 wurden die Einwohner in Steinhäuser
umgesiedelt, da man viele Felsenwohnungen
für einsturzgefährdet hielt.Wohl zu Recht, denn tatsächlich
ist das heutige Zelve stark vom Felsstürzen geprägt und manch
früher frei zugänglicher Bereich ist bereits aus Sicherheitsgründen
abgesperrt. Trotzdem trauert noch heute mancher ehemalige Bewohner dem
Leben im Felsendorf nach. Inzwischen ist die scheinbar altmodische Wohnweise
im
Felsenwieder modern geworden und verschiedene Hotels und Pensionen
in Göreme und Umgebung bieten luxuriös eingerichteteFelsenwohnungen
für Touristen an.
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Unsere Reise wird weitergehen
zu einer vierten und letzten Weltkulturerbestätte. Wenig bekannt und
- da nicht ausgeschildert - selbst in der Stadt schwer zu finden, stellen
die Moschee und das Hospital von Divrigi ein Kleinod seldschukischer
Architektur dar. 1228 - 1229 zur Blütezeit des alttürkischen Reiches
von Ehmir Ahmet Shah errichtet, bildet das Gebäude einen homogenen
Baukomplex mit drei gewaltigen Toren, die über und über mit reicher
Ornamentalistik verziert sind.
In der einen Hälfte des
Gebäudes befindet sich eine auch heute noch zur Andacht
verwendete Moschee mit einem reich geschnitzten Gebetsstuhl aus dem
13. Jahrhundert. In der gegenüberliegenden Gebäudehälfte
verbirgt sich ein wohlerhaltener Maristan
- ein Hospital zur Heilung geistig verwirrter Menschen, in dessen Zentrum
ein heiltätiger Brunnen liegt. Noch heute dient der Raum als Begräbnisstätte
für besonders ehrwürdige Muslime. Das tief beeindruckende Gebäudeemsemble von
Divrigi, das bereits 1985 in die Liste der Weltkulturerbestätten aufgenommen
wurde, hätte sicherlich einen weitaus höheren Bekanntheitsgrad
verdient.
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Nicht auf der Liste der Weltkulturerbestätten,
jedoch auf der Vorschlagsliste hierzu steht das Kloster
Sumela nahe Trabzon, dem antiken Trapezunt. Hier wurde im Jahr 385
in einer 250 m hoch aufragenden Felswand ein Kloster gegründet, das
in seiner ausgesetzten Lage den Klöstern des Berges Athos und den
Meteora-Klöstern in Griechenland kaum nachsteht. Das über viele
Jahrhunderte blühende und durch zahlreiche Schenkungen - so einer
reich ausgestatteten Bibliothek durch den Kaiser Justinian - sich stetig
vergrößernde Kloster wurde 1461 unter Fatih Sultan Mehmet von den Osmanen erobert. Der
Sultan lies jedoch das Kloster und die Ausübung der christlichen Lehre
unangetastet und auch in der Folgezeit herrschte ein gutes Einverständnis
zwischen den Mönchen und der umgebenden teils muslimischen, teils
christlichen Bevölkerung.
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Sumela
: Eingang
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Mehrfache großzügige
Schenkungen der herrschenden Sultane an das Kloster, zuletzt im 19. Jahrhundert
durch Sultan Abdulhamid, der dem Kloster 15 Dörfer in der Umgebung
vermachte, sind historisch verbürgt. So bietet die Geschichte des Klosters
Sumela an sich ein schönes Beispiel für religiöse Toleranz
und einen Religionsfrieden, der bis ins 20. Jahrhundert reichte.
Das Ende des Klosters mit damals etwa 100 darin lebenden Mönchen kam
1921 durch marodierende Russen christlich - orthodoxen Glaubens, die Sumela
plünderten und die Mönche vertrieben. Ein trauriges Ende für
eine so lange und friedvolle Geschichte...
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Nach einer Phase des Verfalls
bemüht man sich seit einigen Jahren um eine sorgfältige Wiederherstellung
des Klosterkomplexes. Noch sind die Arbeiten nicht abgeschlossen, trotzdem
aber zeigt Sumela schon heute wieder das Bild eines imposanten Gebäudekomplexes.
Zugänglich ist etwa die Hälfte der hoch
aufstrebenden Klosterbauten mit ihren typischen, vorkragenden Dachsimsen
und die in eine Felsenhöhle hinein gebaute Marienkapelle
mit prachtvollen Fresken neutestamentlicher Szenen, die immer noch zum großen Teil stark sanierungsbedürftig sind.
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Sumela
: Marienkapelle
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Unsere Ballonfahrt nähert
sich dem Ende. Noch einmal steuert uns unser Pilot durch die weißen
Felsenschluchten des Liebestales hindurch, nun schon auf der Suche nach
einem Landeplatz. Zwei Ballons liegen halb erschlafft auf den Boden der
Tuffebene und machen einen traurigen Eindruck, wir aber nehmen noch einmal
Fahrt auf und gleiten in Baumhöhe über den nächsten Hügel
hinweg. Als meine Hände durch die Blätter der Baumwipfel streichen,
denke ich belustigt an den Satz 'Blumen pflücken während der
Fahrt verboten' und fühle mich seltsam beschwingt.
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Teeplantagen
bei Rize
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Viel gäbe es noch zu erzählen
über die Geschichte der Türkei, einem Land, das so viele
unterschiedliche Kulturen beheimatet hat wie wenige andere. Doch es gibt
noch weit mehr in diesem Land zu entdecken. Die Schwarzmeerküste wird unser letztes
Ziel sein. Grün ist es hier, viel grüner als irgendwo sonst in
der Türkei. An den steilen Bergen um Rize und Trabzon wiegen sich
endlose Teeplantagen, die mehrfach im Jahr gepflückt werden können.
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Weiter unten im Tal werden Haselnüsse
angebaut. Es sollen die besten der Welt sein. Wir werden in die Camlihensin
- Täler hochfahren und ein wenig die dortige Bergwelt erkunden.
In der auch "Kleiner Kaukasus" genannten Bergregion der Kackar
Dagi gibt es hochalpine Wanderparadiese bis hinauf auf fast 4000 m.
Bis vor wenigen Jahren fast unbekannt und auch nun erst zaghaft erschlossen,
kann man hier noch mit Glück auf Bären und Wölfe treffen. Ausgangspunkt
dieser Wanderungen ist die Ortschaft Ayder, wo man sich nach den Ausflügen
in die Bergwelt in heißen Quellbecken von kundiger Hand massieren lassen kann.
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Tal
des Camlihensin
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Die Türkei ist eine Reise
wert...Nein, nicht eine : viele Reisen. Es ist meine vierte Reise in dieses
Land, das so viel an Kultur und Natur zu bieten hat. Viel Neues gibt es hier, Überraschendes,
Unbekanntes und doch immer wieder auch seit langem Vertrautes, zutiefst
Europäisches. Ich steige aus dem Ballonkorb aus, der immer noch leicht
schwankend auf dem Boden steht. Schon sinkt die Hülle hinab, ihrer
Luft beraubt. Von fern her ertönt ein Ruf und der Knall eines Sektkorkens
ist zu hören. Bald schon werde ich stolzer Besitzer einer Urkunde
über meine erste Ballonfahrt sein. Es war wunderbar und es wird nicht
meine letzte Fahrt in einem Ballon sein...und auch nicht meine letzte Reise
in die Türkei ! |
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