Unterirdische Städte in Kappadokien

- Ein kritischer Reisebericht -

von Th. Krassmann

 


Panoramaaufnahme Kaymakli mit typischen Verschluß - Rollstein

Im September 2002 und später nochmals 2004 hatte ich die Gelegenheit, mir einige der geheimnisvollsten unterirdischen Bauten der Welt anzuschauen. Die Rede ist von den unterirdischen Städten in Kappadokien in Zentralanatolien, Türkei. Wahrlich Spektakuläres erzählt man sich von diesen Orten : 200 unterirdische Städte soll es geben, bis zu 60 Meter tief sollen sie sein und über 8 - 10 Stockwerke verfügen. 30.000 Menschen sollen in einer Stadt gelebt haben und viele, wenn nicht sogar alle Städte - von denen bisher nur wenige entdeckt sind - sollen durch kilometerlange Fluchtstollen miteinander verbunden sein. Bereits antike Autoren wie Plinius und Xenophon sollen über sie ehrfürchtig berichtet haben... letzterer mit einem Bericht über griechische Kolonisten, die die verlassenen unterirdischen Städte im 4. Jahrundert vor Christus eine Zeitlang bewohnten.Was aber nun ist dran an diesen Gerüchten ? Im Folgenden sollen einige Antworten gegeben werden.

Vorab etwas zur Geologie. Das heutige Kappadokien mit seiner einzigartigen Felsen- und Kulturlandschaft, die seit 1985 zu Recht zum Weltkulturerbe der Menschheit zählt, verdankt seine Entstehung einem jungtertiären Vulkanismus um den heute noch imposant bis fast 4000 m aufragenden Erciyes - Vulkan südlich von Kayseri.. Im Gegensatz zu manchen örtlichen Informationen ist dieser jedoch nur zu einem Teil für die bis zu mehreren hundert Meter mächtigen Tuffablagerungen in Kappadokien verantwortlich. Vielmehr bestanden in Kappdokien eine ganze Reihe von vulkanischen Eruptionszentren, die große Volumina eines schnell aushärtenden hellen Tuffs förderten. Gelegentlich in dem Tuff zu beobachtenden Basaltgänge lassen dabei ebenfalls auf zahlreiche kleinere Eruptionsherde im direkten Umfeld der Tuffablagerungen schliessen. Der Vulkanismus endete vor wenigen zehntausend Jahren, wobei einige Indizien auf kleinere Ausbrüche auch in historischer Zeit hindeuten.

Die mächtigen Tuff- und Ascheablagerungen wurden in den letzten Jahrtausenden teilweise stark erodiert, wobei sich die für Kappadokien typische "Feenkaminlandschaft" mit vielen steil aufragenden Einzelfelsen bildete, wie diese beispielsweise in Göreme selbst oder in den benachbarten Tälern mustergültig ausgebildet sind. Dabei ist der meist sehr helle Tuff im bergfeuchten Zustand weich und lässt sich leicht bearbeiten und aushöhlen. Bei längerem Luftzutritt härtet er dann allmählich an der Oberfläche aus und weist eine erstaunlich hohe Standfestigkeit auch bei größeren Hohlräumen auf. Dazu kommt ein gutes Wärmehaltevermögen, sodaß derartige Felsenräume winters wie sommers angenehm temperiert sind. Diese Eigenschaften und die angenehm hellbeige Farbe des Tuffes haben seit altersher dazu geführt, das Felsen ausgehöhlt und als Wohnraum, Klöster, Kirchen, Mönchszellen etc. genutzt wurden. Und selbst heute noch werden neue Hohlräume zu Lager- und Wohnzwecken gegraben, u.a. als exclusive Hotelzimmer für zahlungswillige Touristen.

Neben kleineren unterirdischen Kirchenbauten und Felsenwohnungen, wie zum beispielsweise in der verlassenen Stadt Zelve entstanden aber auch größere unterirdische Komplexe, die eben als die "Unterirdischen Städte Kappdokiens" in die Literatur Eingang fanden. Verschiedene von diesen können besichtigt werden, so die beiden bedeutendsten Kaymakli und Derinkuyu, aber auch kleinere Anlagen wie Özkoniak und Mazikoy.

Insgesamt befinden sich in Zentralkappadokien derzeit etwa 25 bekannte unterirdische Großkomplexe - siehe hierzu Abbildung 2 . Vermutlich gibt es weit mehr, denn immer wieder werden neue "Städte" gefunden, im Übrigen ist es auch eine Frage der Abgrenzung, was "noch" als größere unterirdische Wohnsiedlung wie im oben genannten Zelve oder eben "schon als unterirdische Stadt" zählt. Die "Städte" befinden sich dabei meist in relativ flacher Umgebung und weisen im allgemeinen keine markanten Oberflächenstrukturen aus, bzw. sind von modernen Häusern überbaut.


Abbildung 2 : Verteilung unterirdischer "Städte" in Kappadokien, Quelle : GÜLYAZ & YENIPINAR (ca. 1995)

Begibt man sich nach Derinkuyu oder Kaymakli, so betritt man nach Passage zahlreicher Andenkenläden und nach Entrichtung eines nicht zu knapp bemessenen Eintrittsgeldes (2002 : 7,50 Euro) den unterirdischen Komplex. Hier kann man sich relativ frei bewegen, sollte jedoch im allgemeinen den Pfeilen folgen, um nicht die Orientierung zu verlieren. Dies geschieht recht leicht, allerdings kommt man früher oder später wieder auf die beleuchteten Hauptwege zurück. Zu sehen gibt es ein wahres Labyrinth von Gängen und Räumlichkeitenm die im allgemeinen leer sind und nur gelegentlich rudimentäre Einrichtungsgegenstände wie Handmühlen, Speicherkrüge etc. zeigen. Überraschenderweise zeigen sich auch nur wenige Verzierungen und Wandmalereien, wie diese für die christlichen Untertagekirchen der Gegend so typisch sind fehlen fast gänzlich. Eindrucksvoller sind da schon die sichtbaren Verteidigungseinrichtungen in Form von Fallgruben und "Mühlsteinen" die zum Verschliessen der Gänge dienten (vgl. Abbildungen 1 und 3).

Abbildung 3 : Schema der Rollsteinverschluss - Technik Bild M. Akok

Wie aus Abbildung 3 ersichtlich, befinden sich die Einrichtungen zum Bewegen der Rollsteine immer im vom eindringenden Feind nicht zugänglichen Bereichen. Dabei kann der Gang relativ leicht verschlossen und der Rollstein gegen unbefugtes Öffnen von Außen durch Verkeilung gesichert werden. Ein Öffnen ist jedoch praktisch nur von innen möglich. Dies bedeutet, das die Bewohner der unterirdischen Siedlungen sehr viel Wert darauf legten, ein Eindringen von außen möglichst zu erschweren

Hier ist es nun an der Zeit mit ein paar Gerüchten um die unterirdischen Städte oder vielmehr Siedlungen am Beispiel Derinkuyu und Kaymakli als deren größte bekannte Vertreter aufzuräumen :

1. Die "Städte" gehen tatsächlich bis auf eine Tiefe von etwa 60 m unter der Oberfläche herunter, wobei die Räume zwar nach unten zu immer größer werden, die Anzahl der Räumlichkeiten pro Etage dabei aber rasch drastisch abnimmt.

2. Die Städte bestehen aus mehreren Stockwerken. Wir selber zählten davon fünf gut unterscheidbare, nicht jedoch acht oder gar noch mehr. Dabei ist der Begriff "Stockwerk" sehr irreführend und vermittelt einen völlig falschen Eindruck, da die unteren Stockwerke nur aus sehr wenigen Räumen - teilweise nur zwei oder drei, vgl. Abbildung 4 - bestehen und längst nicht die horizontalen Ausmaße der oberen beiden Stockwerke erreichen. Hinweise auf noch tiefere Stockwerke lassen sich in keinem Fall finden.

Abbildung 4 : Plan von Derinkuyu mit Einzeichnung der unteren Stockwerke - der Kreis bezeichnet die Missionsschule in Abbildung 6

Planzeichnung : Roberto Bixio, ergänzt

3. Das in der Literatur oft beschriebene bewundernswerte Ventilationssystem gibt es zwar, jedoch beschränkt es sich in den oberen Teufen auf jeweils flache Schächte und Tagesöffnungen, die den Luftaustausch gewährleisten. Für die unteren Etagen gibt es dann nur noch einen zentralen Schacht. Mehr braucht es aber auch nicht, da wie gesagt, die unteren Stockwerke sehr klein dimensioniert sind. Im Übrigen werden die Bewohner der unterirdischen Siedlungen bemüht gewesen sein, ihre Luftschächte so klein und unauffällig wie möglich zu gestalten, da hierüber ein Eindringen des Feindes oder aber zumindestens ein Ausräuchern von der Oberfläche her möglich gewesen wäre.

Abbildung 5 : Profil durch Derinkuyu Quelle : GÜLYAZ & YENIPINAR (ca. 1995)

 

Abbildung 6 : Rekonstruktion der unterirdischen Missionsschule in Derinkuyu
(man beachte die insgesamt doch überschaubaren Dimensionen; vgl. auch Abbildung 4) Quelle : GÜLYAZ & YENIPINAR ,ca. 1995

4. Auf lange Verbindungsgänge zu anderen "Städten" fehlt jeder Hinweis ! Weder findet man im Verlauf der hypothetischen Verbindungsstollen Schachthalden, die bei einer Länge von mehreren Kilometern zur Ventilation und zum Gegenortbetrieb zwingend notwendig gewesen wären noch gibt es irgendwo erkennbare direkte Ansätze zu solchen Gängen in den "Städten" selbst. Natürlich gibr es etliche Stollen und Verbindungsgänge - besonders in den oberen Stockwerken, die verfüllt oder verbrochen sind und die grundsätzlich weiterführen könnten. Sämtliche begehbaren Stollen und Verbindungsgänge sind jedoch alle nur relativ kurz und maximal 100 m lang.

Schließlich spricht auch die Verteidigungsstrategie gegen solche geheimen Verbindungsgänge oder Fluchtstollen zwischen benachbarten Städten. Hätte ein Feind auch nur eine der unterirdischen "Städte" eingenommen, so wäre es für ihn ein Leichtes gewesen, durch die Verbindungsstollen auch andere Städte von unten her aufzurollen. Die These der langen Verbindungsgänge zwischen den Städten ist somit aus verschiedenen Gründen ad acta zulegen, auch wenn im Einzelfall der ein oder andere längere Fluchtstollen - dann aber zweifellos nach Ubertage ! - durchaus vorhanden sein mag.

5. Schließlich wird vielfach behauptet, das Derinkuyu, Kaymakli oder vergleichbare unterirdische Städte eine sehr große Bevölkerung - die Rede ist häufig von 30.000 oder mehr Menschen - beherbergt haben sollen. Dies erscheint völlig übertrieben !.

Zum einen gab es in der damaligen Zeit Städte dieser Größenordnung selbst an der Oberfläche praktisch nicht ! Zum anderen gibt es in ganz Derinkuyu vielleicht 200 Räume. Schätzen wir die Anzahl der bisher nicht ausgegrabenen und unzugänglichen Räume auf ebenfalls 200, so haben wir 400 benutzbare Räume. In jedem dieser mit durchschnittlich etwa 4 x 4 m nicht eben sehr großen Räume war Platz für eine Familie, die wir hier auf 5 Mitglieder schätzen wollen. Somit gab es in ganz Derinkuyu Lebensraum für 2000 Menschen !

Diese Menschen können nun in zeitlich begrenzten Notzeiten eng zusammenrücken, dann hätten vielleicht 4000 Menschen in der Stadt Platz. Dies aber auch nur sehr kurzfristig, weil sich bei so vielen Menschen die (hoffentlich zuvor in hinreichender Menge) eingelagerten Vorräte ziemlich schnell aufzehren. Im Übrigen ist zu vermuten, das die Sauerstoffversorgung / Kohlendioxidentfernung bei den engen Räumlichkeiten für 4000 Menschen nicht ausreichen würde.

Noch zwei weitere Punkte sprechen für eine nur geringe Siedlungsdichte im Untergrund, beziehunsgweise für eine nur kurze Verweilzeit der Menschen dort. So sind die vorhandenen Brunnen sehr klein dimensioniert und haben nur eine begrenzte Fördermenge. Schließlich findet man an fast keiner Stelle in den UT - Städten sanitäre Anlagen vor. Bei einer Belegung der Siedlungen mit mehreren Tausend Menschen müssten sich aber sehr schnell (seuchen) hygienisch katastrophale Zustände entwickeln...

Abschließend zu den Besuchen in Derinkuyu und Kaymakli ist zu sagen, das diese unterirdischen "Städte" touristisch sehr erfolgreich vermarktet werden. Ihre laterale Ausdehnung ist zweifellos beachtlich, aber gewiß auch nicht größer als vergleichbare Anlagen in Deutschland wie z.B. die Keller unter Nürnberg oder diverse militärische UT - Anlagen. Trotzdem bleiben Derinkuyu,. Kaymakli und andere unterirdische Großkomplexe natürlich trotz ihres im Endeffektes wenig städtischen Charakters schon aufgrund ihres nachweislich hohen Alters höchst bedeutende archäologische Objekte, deren Besuch jedem Interessierten wärmstens empfohlen werden kann. Nur sollte man dabei den zweifellos übertriebenen Angaben der Literatur oder den Informationen der Fremdenführer mit der gebotenen Skepsis begegnen.

Abbildung 7 : Rekonstruktion verschiedener Räumlichkeiten und Tätigkeiten in den unterirdischen Siedlungen Kappadokiens Quelle : GÜLYAZ & YENIPINAR, ca. 1995

 


Dr. Thomas Krassmann, Bad Windsheim im März 2007

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Danksagung :

Wir bedanken uns beim türkischen Tourismusministerium für die großzügige finanzielle Unterstützung beim Besuch und bei der Erstellung von Panoramabildern in Kaymakli und anderen Orten in Anatolien im Jahr 2004

 

Literatur :

GÜLYAZ, M.E.. & YENIPINAR, H. (ca. 1995) : Underground Cities of Cappadocia

KRASSMANN, Th. (2004) Türkischer Honig - Ein 3D - Panorama der Weltkultuerbestätten
- Online Publikation auf http://giantcrystals.strahlen.org

URBAN, M. (1973) : Die Rätsel der unterirdischen Städte Südanatoliens
- Vorland, Zeitschrift für europäische Vorgeschichte, No. 7, S. 174 - 181